30 Grad im Schatten, die Luftfeuchtigkeit beträgt 95 Prozent, es regnet, und ich stehe inmitten des Dschungels von Panama. Neben mir steht José, dem die klimatischen Bedingungen anscheinend nichts anhaben. José ist Indio und amüsiert sich köstlich über mich, den verrückten Deutschen, der versucht, mittels einer Machete Kakaofrüchte zu ernten. Ich befinde mich dafür auf der Isla San Cristóbal in Panamas Nordwesten.
Hierher verschlagen hat mich eine Annonce von Johanna, einer Österreicherin, die hier auf der Insel eine Farm hat und versucht, diese urbar zu machen. Ich bin Volunteer und seit drei Wochen auf der Insel. Zur Farm gehören neben Wiesen, Weiden, ein Garten, ein Bananenpflanzenfeld, ein Ananasfeld und viele Tiere auch viele Hektar Dschungel. Bei einem großen Teil handelt es sich tatsächlich um Sekundärwald, und ein kleiner Teil davon ist eine verwilderte Kakaoplantage, die das ungeübte Auge erst auf den dritten Blick hin erkennen mag. Man muss dabei erwähnen, dass es sich bei dem Dschungel um richtigen Dschungel handelt. Es gibt circa zehn verschiedene Schlangenarten, selbstverständlich alle richtig giftig – , dazu kommen Vogelspinnen, Ameisen, Termiten, Papageien, Affen und Skorpione. Überall krabbelt, wimmelt und wuselt es. Man darf sich nirgends hinsetzen, nirgendwo hineinfassen, muss immer Gummistiefel und lange Hosen tragen, die Bäume haben Stacheln, die Büsche haben Stacheln, und das Gras ist messerscharf. Wenn man durch das hohe Gras läuft, sollte man wegen der Schlangen mit der Machete laut den Weg freimachen. Hier gibt es keinen Handyempfang, kein Radio, kein Fernsehen – und Internet schon gar nicht. Nur eine CB-Funkanlage hat dauerhaften Kontakt zur Außenwelt. Das nächste Krankenhaus ist übrigens in zwei Stunden mit dem Boot erreichbar. Das sind die Bedingungen, unter denen der Kakao hier wächst. Bedingungen wie im gesamten Norden von Panama.
Da an den Kakaobäumen von Johannas Plantage zahlreiche Früchte hängen, habe ich den Vorschlag gemacht, diese doch zu ernten, um Kakao zu trinken und Schokolade zu essen. Meine Idee fand wenig Zustimmung, und so stehe ich mit José, meiner Machete und zwei leeren Säcken vor mehreren Kakaobäumen und versuche, die Früchte von den Bäumen zu schlagen, ohne sie gleich abzuhacken oder zu beschädigen. Bevor wir den ersten Baum erreichen, bin ich klatschnass, als hätte ich gerade geduscht, aber an diesen Zustand bin ich langsam gewöhnt. Nach einer Stunde haben José und ich ca. 60 bis 70 Kakaofrüchte von den knapp zwei bis vier Meter hohen Bäumen geschlagen. Damit sind unsere beiden Säcke voll und wiegen jetzt jeder ungefähr 20 Kilo. Wir schleppen sie nun durch den Dschungel zum zentralen Haus der Farm. Dort angekommen, setze ich mich hin und öffne mit der Machete die Kakaofrüchte. In den gelben Früchten befinden sich, von weißlich gelben, glibbrigen und leicht süßlichem Fruchtfleisch umgeben, die Kakaobohnen. Der gesamt Glibber muss nun aus den Früchten gepuhlt werden, und alles kommt zunächst in einen Plastesack.
Die Kakaoernte ist noch lange nicht vorbei
Nachdem wir unsere zwei Säcke entleert und entpuhlt haben, bleibt weniger als ein halber Sack Kakaobohnenglibber übrig. Dieser Sack wird nun fest verschlossen und muss für fünf Tage in der Sonne hängen. Warum? Die Früchte werden fermentiert. Bei hohen Temperaturen im Sack wird so das Fruchtfleisch von den Bohnen getrennt, die Keimfähigkeit der Samen abgetötet, um sie lagerfähig zu machen. Es bilden sich die ersten Aromastoffe, und die Bohnen färben sich braun. Während der fünf Tage riecht es permament nach Alkohol auf der Veranda, und eine Milliarde Fliegen laben sich an dem, was aus dem Sack tropft. Nach sechs Tagen haben sich die Fliegenwolke und der Geruch langsam verzogen.
Unser Ertrag ist nun von zwei Säcken auf weniger als ein Viertel eines Sackes zusammengeschrumpft. Dann müssen die Bohnen getrocknet werden. Das heißt, dass die Bohnen für sechs bis zehn Tage in der prallen panamesischen Sonne ausgebreitet liegen müssen. Während der Trocknung werden sie dreimal am Tag gewendet, und sie dürfen auf keinen Fall nass werden. Das heißt, sowie eine Wolke – wir haben gerade Regenzeit – am Himmel erscheint, muss einer, meistens ich, denn ich hatte ja die Idee, losrennen und die Bohnen vor dem Regen in Sicherheit bringen. Nach den zehn Tagen Trocknung bleibt uns von unseren zwei Säcken Kakaofrüchten ein bisschen mehr als ein Kilo getrocknete und zur Weiterverarbeitung fertige Kakaobohnen. Bis zu diesem Zeitpunkt haben wir ungefähr zehn Stunden reine Arbeitszeit in ein Kilo Bohnen gesteckt, und es hat circa zwei Wochen bis dahin gebraucht. Ich frage José, wie viel wir für diese Bohnen in der Kooperative in Almirante bekommen würden.
Ich arbeite für 12 Cent die Stunde
Die Kooperative ist eine Vereinigung, die von den Bauern in der Umgebung die Ernten aufkauft, um diese an Händler für den Weltmarkt weiterzuverkaufen. Die niederschmetternde Antwort lautet einen Dollar und 25 Cent. Ich habe also für ungefähr zwölf Cent die Stunde gearbeitet. Mir ist klar, dass man mein Beispiel nicht hochrechnen kann. Aber ich weiß, dass José ein bisschen mehr als acht Dollar bekommt – pro Tag. Das ist für einen Indio in Panama ein wenig mehr als der Mindestlohn und damit ein guter Lohn. Und wie er und seine Freunde mir berichten, sind die Kakaobauern schlechter dran. Deswegen lohnt die Arbeit auch für sie kaum. Meine Plackerei bei 30 Grad im Dschungel war die reine Erntearbeit. In ihr nicht enthalten ist die Pflege der Bäume, der Plantage und des Dschungels. Bin ich also mit meinen zwölf Cent doch nicht allzu weit von dem Geld der Kakaobauern entfernt? Und richtig. Einfachste Recherchen via Suchmaschine ergaben, dass viele Kakaobauern in Westafrika zum Beispiel mit 1,25 Dollar am Tag auskommen müssen. Viele von ihnen verdienen 400 bis 600 Euro im Jahr und müssen damit ihre Familien durchbringen. Sie verdienen weniger als meine 12,5 Cent in der Stunde, doch im Gegensatz zu mir müssen sie davon leben.
Wir verbringen schließlich einen weiteren gesamten Nachmittag damit, die Kakaobohnen zu rösten, zu schälen und zu mahlen. Die Hälfte der Bohnen wird geröstet und kandiert und als Snack gegessen. Die andere Hälfte verarbeiten wir zu circa einem Kilo Schokolade – umgerechnet zehn Tafeln Schokolade – und etwas bleibt für Trinkschokolade …
Seit meinem Aufenthalt in Panama habe ich zu Schokolade ein gespaltenes Verhältnis. Ich genieße Kakao oder Schokolade in flüssiger und fester Form für mein Leben gern. Doch im Hinterkopf habe ich immer die Bedingungen ihrer Herstellung. Diese sind nach meinen Erfahrungen übrigens für Fairtradebauern nur unwesentlich besser. Bei meinen Recherchen stellte ich aber fest, dass sich im Kakaogeschäft ein Wandel ankündigt. Denn immer weniger Kakaobauern wollen zu so einem Hungerlohn arbeiten. Die Folge: es gibt weniger von ihnen und somit weniger Kakao. Da die großen Multis aber weiterhin an der Kakaofrucht verdienen wollen, sind sie durch ihre eigenen Marktmechanismen gezwungen, mehr für die Bauern zu tun.
Dies hat zum Beispiel eins der letzten unabhängigen Hersteller der Branche, das Familienunternehmen Rittersport, erkannt. Ab 2017 erntet das Unternehmen in Nicaragua eigene Kakaofrüchte, unabhängig vom spekulativen Weltmarkt unter vernünftigen sozialen und ökologischen Bedingungen. Vielleicht ist dies ein neuer Weg, um das Leben der Bauern zu verbessern. Auf dass man Schokolade wieder ohne Gewissensbisse genießen kann.
Was für ein toller Text. Er hat sich einfach so flüssig weggelesen und war super interessant. Da esse ich meine Weihnachtsschokopralinen doch gleich viel sparsamer…