Randonnée en Vercors – Mit dem Rad in Frankreich unterwegs

Schweißüberströmt, aber stolz wie Bolle, passieren wir das Ortseingangsschild Lans en Vercors. Hier auf etwa 1000 Höhenmeter fahren im Winter die Touristen Ski und Snowboard. Doch jetzt im spätsommerlichen September ist die Gegend einfach hervorragend geeignet, um mit Fahrrad und Gepäck, Natur und Küche der französischen Voralpen zu erkunden.

In Sassenache – etwa 1057 Höhenmeter tiefer und knapp zweieinhalb Stunden vorher – meinte mein Mitfahrer noch zu mir: „Iss lieber noch ein Stück Schokolade, der Aufstieg wird lang.“ Da hatte er nicht Unrecht, denn mit etwa 20 Kilogramm Gepäck fahren sich die acht bis zehn Prozent Steigung tatsächlich etwas schwerer. Doch nicht nur die anerkennenden Blicke der beständig an uns vorbei ziehenden Rennradler geben gehörig Kraft in die Beine, auch die letzten Tage halfen da schon gewaltig. Um ins Vercors zu kommen, das südlich von Grenoble liegt, schlugen wir uns nämlich von Bellegarde-sur-Valserine nach Sesseyle und von dort ins Chartreuse nach Saint-Laurent-du-Pont durch. Das waren dann schon mal 120 Kilometer und 1600 Höhenmeter in zwei Tagen.

Felsenmassiv im Abendrot

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Felsenmassiv im Abendrot

Um jedoch überhaupt erst einmal französische Luft zu schnuppern, ging es zuvor mit dem Zug von Halle nach Genf. Nach reiflicher Überlegung war dies die beste Variante, um mit Rädern und Gepäck nach Frankreich zu kommen. Zwar ist Frankreich mit über 75 Millionen Besuchern jährlich das am häufigsten bereiste Land der Welt. Doch ist eine Reise hierher, soll sie denn mit Veloziped und ohne eigenes Auto stattfinden, mit erheblichen Abenteuern verbunden. So gibt es eigentlich nur einen verhältnismäßig bequemen Weg, ohne groß umsteigen zu müssen, in die Schweiz und damit an die französische Grenze zu kommen. Und das ist der City Nightliner nach Basel. Von hier aus geht es dann per Regionalbahn nach Genf. Doch kaum verlässt man die ordentliche Schweiz, beginnt auch schon das Abenteuer. Da kann es durchaus einmal vorkommen, dass man mit voll bepackten Rädern am Gleis steht und die Regionalbahn erst Verspätung meldet und dann komplett ausfällt. Glück hat derjenige, der mit etwa vierhundert Pendlern in einen TGV steigen darf und dort von Abteil zu Abteil gescheucht wird, weil die Schaffner nicht wissen, wo man die Drahtesel in einem französischen Schnellzug unterbringen soll.

Doch hat man diese Erfahrung unbeschadet überstanden, erwartet den frankophilen Radreisenden la France pure: Innerhalb der ersten drei Tage passierten wir auf schmalen Straßen, die sich serpentinenartig durchs Gebirge winden, herrliche Schluchten, kleine Tunnel, saftige Wiesen und malerische Orte wie zum Beispiel Chanaz, direkt an einem Kanal an der Rhône gelegen. In der sich eng an den Berg schmiegenden Altstadt mussten wir einfach für einen Café au lait halten und einen kleinen Spaziergang durch schmale Gassen und vorbei an moosgrünen Mauern einlegen. Bei dieser Gelegenheit fiel mir – und das bei jedem Frankreichurlaub wieder aufs Neue – ein wesentlicher kultureller Unterschied auf: die Toiletten. Muss man sich im Süden Frankreichs tatsächlich erst einmal daran gewöhnen, dass der Toilettengang entweder auf einem Becken ohne Brille oder gar im Hocken endet. Die mediterrane Hocktoilette besteht nämlich aus einem Keramik-Viereck, welches durch zwei herausgehobene Fußabdrücke gerahmt ist und an deren oberem Ende ein Loch mittig klafft. Hier muss man gut treffen und darf keine Probleme mit dem Gleichgewicht haben. Wikipedia nennt übrigens als Vorteil der mediterranen Hocktoilette, dass sie weniger zum Verweilen einlade – das stimmt. Außerdem sollte man schnurstracks nach dem Spülen den Raum verlassen, da er komplett geflutet wird – das hilft der Reinlichkeit, macht bei nicht geschulten Toilettengängern jedoch beständig nasse Füße.

Natürlich sollte Chanaz sollte nicht der letzte Zwischenstopp in einem der herrlich-kleinen Dörfer sein, die wir auf unserer Rundreise zwischen den Gebieten Savoie, Chartreuse, Vercors und Drôme passierten.

Kurz hinter dem Vercors in Richtung Süden, in der Nähe der seicht dahinfließenden Drôme, ließen wir uns bei spätsommerlichen Temperaturen von Ortschaft zu Ortschaft auf kleinen Straßen leiten, die sich – gesäumt von Sonnenblumenfeldern – durch die Landschaft schlängelten. Auf unserer Route in Richtung Crest stach Bourdeaux als besonders schöner Aufenthalt hervor. Das mittelalterliche Städtchen mit seinen sich einen Berg hochwindenden Steinhäusern und der oben thronenden Kirchenglocke lädt einfach zum Verweilen ein. Doch ist es nicht nur der Blick in die Landschaft und die Lavendelfelder, die im Sommer die Stadt komplett in ihren Duft einhüllen, nein, es war der örtliche Fleischer, der es uns angetan hatte. Im Unterschied zu Deutschland hat dieser – wie viele Fleischereien in Frankreich – viel weniger Schnittwurst. Ein Glück, denn es lachen einen weder Bärchenwurst noch sonst eine Verniedlichung von Fleisch an der Theke entgegen. Dafür gibt es hier viel mehr an eigens vorbereiteten Gerichten – von verschiedensten Pasteten über Farce und Sülze bis hin zu gebratenen Hühnern, gefüllten Tomaten und und und… ein Gedicht!

 

Nach Dieulefit nahmen wir die Route über Crest wieder zurück ins Vercors in Richtung Norden über St. Jean en Royans und St. Genix sur Guieres nach Seyssel an der Rhône. Die Landschaft wechselte jeden Tag. Mal schien es uns, als seien wir in den bayerischen Alpen, mal ähnelten Berge und Ortschaften den Alpujarras im südlichen Spanien und dann vermittelten Weinberge und französische Cafés wieder la vie en France. Eine der spektakulärsten Ausblicke der Reise bildete der Col de la Machine, der durch sein abgebrochenes Felsmassiv einen Blick ins Tal nach St. Jean en Royan freigibt und atemberaubend ist. Das dachten sich wohl auch die städtischen Tourismusbüros und haben eine Straße gebaut, die sich eng am Fels entlang schlängelt. Sie markiert allerdings nichts weiter als einen Rundweg. Klar, dass dieser gerade bei Rennradfahrern beliebt ist. Nach einem solchen Ausblick schmeckt ein Pastis im nachmittäglichen Sonnenschein übrigens am allerbesten. Das ist es wohl, was die Franzosen meinen, wenn sie auf Schildern zum „Randonée en Vercors“ einladen…

 

Steckbrief Radreise:

  • Dauer: zweieinhalb Wochen
  • Entfernung: ca. 1000 Kilometer
  • Höhenmeter: 10.000
  • Charakter: je nach Interesse leicht oder stärker bergig, warm, ruhige Straßen in den Bergen
  • Sehenswürdigkeiten: beständig wechselnde Landschaft, herrliche Schluchten, imposante Ausblicke und verwunschene, zum Teil mittelalterliche Ortschafte

Route:

Start: Leipzig – Basel – Genf – Bellegarde. Startort in Fr.: Seyselle. Zwischenstationen: Lac de Aiguebelette – Lans en Vercors – Die – Bourdeaux – Crest – St. Jean en Royans – Seyssel. Zielort: Seyssel. Von dort wieder mit den Rädern zurück nach Genf – Basel – Leipzig.

 

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